Veröffentlicht: 6.10.2024
Autor: Karsten Hein
Kategorie: Explorations
Tag(s): Vintage Radios
Für deutsches HiFi hätte die Geschichte wohl anders verlaufen können, wenn die Branche die Idee, Ikonen zu erschaffen, voll ausgeschöpft hätte. Ich mag den Look and Feel der frühen Tage, als noch alles möglich zu sein schien. Und ich bin meinem Großvater dankbar, dass er mir diese Erfahrung noch lange über sein Leben hinaus erhalten hat. Dieser Artikel ist für Dich, Rudi.
Das Saba Wildbad 100 Röhrenradio wurde von 1959 bis 1960 hergestellt und ist ein klassisches deutsches Nachkriegs-Modell mit einem Holzgehäuse in Nussbaum-Optik, einer horizontalen Sendertabelle und großen Drehknöpfen und Tasten. Intern arbeitet es nach dem Superheterodynprinzip und deckt damit Frequenzbänder von Langwelle (LW) über Mittelwelle (MW) und Kurzwelle (KW) bis hin zu Ultrakurzwelle (UKW, 87.5 MHz to 100 MHz) ab. Die Saba-Modelle dieser Zeit waren für ihre robuste Technik, hervorragende Audioqualität und sorgfältige Verarbeitung bekannt. Das Wildbad 100 schlägt da nicht aus der Art und ist dadurch ein für Sammler attraktives Mitglied der historischen Saba-Produktlinie.
Mein Großvater war Dreher und Drechsler und verstand etwas von Handwerkskunst. Er war abenteuerlustig und ein Tausendsassa, der fast alles im Haus selbst reparieren konnte. Vor dem Krieg hatte er als Polizist gearbeitet und vielleicht auch dadurch eine klare Auffassung von richtig und falsch. Er erduldete nur wenig Unsinn. Als er noch in Schichten in der Fabrik arbeitete, musste er seine wenige Freizeit sinnvoll einteilen. Im Winter war dies hauptsächlich Familienzeit, die er gerne mit seinen Enkelkindern verbrachte, wenn wir zu Besuch kamen. Ich erinnere mich, dass wir nicht nur im Garten arbeiteten oder gemeinsam Dinge aus Holz und Lego bauten, sondern auch in der Dämmerung mit ihm zusammensaßen und beobachteten, wie die Scheinwerfer vorbeifahrender Autos wundersame Formen an der Decke des Wohnzimmers erzeugten, und dabei nicht selten diesem Saba-Radio lauschten.
Nachdem er seine in die Jahre gekommene Musiktruhe entsorgt hatte, baute mein Großvater den aus der Truhe übrig gebliebenen Dual-Plattenspieler so um, dass er in sein Sideboard passte, und verstärkte den Klang mit seinem neuen Wildbad-Radio. Er besaß nicht viele Schallplatten – bei weitem nicht so viele, wie Sammler heute besitzen – doch die wenigen, die er besaß, spielte er mit großer Freude. Seine Sammlung umfasste Musik von Klassik über Folk bis hin zu deutschen Schlagern, aber er hatte auch deutsche Comedy-Shows wie Jürgen von Manger und Emil, die wir Kinder zwar nur halb verstanden, doch irgendwie sehr genossen. Ein Teil des Charmes dieser frühen Hörsitzungen mit Opa lag natürlich in der gemeinsamen Erfahrung. Doch es gab auch eine andere Art von Wärme, die ich in späteren Jahren zu vermissen begann. Diese Wärme ging von der Schallplatte als Musikquelle und vom Radio selbst aus.
Obwohl die Aufnahmen aus den 50er bis 80er Jahren oft schlecht aufgenommen waren, ging von ihnen eine Wärme, Fülle und Brillanz aus, die das Zuhören zu einem Vergnügen machten. Das Saba ähnelte in seinem Aufbau einem Gitarrenverstärker und hatte einen resonanten Holzkorpus, der geschlossen genug war, um eine Kammer zu bilden, und doch offen genug, um nicht topfig zu klingen. Sofern keine externen Lautsprecher und das damals noch optionale Stereo-Modul aus dem Zubehör ergänzt wurde, war die Tonausgabe immer noch mono und ging von einem 24-cm-Tieftöner, einem 24-cm-Mitteltöner und zwei 10-cm-Hochtönern, die größtenteils hinter einem dicken gewebten Stoff verborgen waren, aus. Die Hochtöner selbst jedoch befanden sich hinter Kunststoffgittern auf den Seitenwangen des Gehäuses. Sowohl die Bass- als auch die Höhenwiedergabe konnten abgeschwächt werden, um den Klang an die Einrichtung des Raums, die Nähe zu Ecken und die persönlichen Hörvorlieben anzupassen. Unabhängig von der Einstellung klang das röhrenbetriebene Wildbad 100 jederzeit sonor und einladend.
Obwohl das Saba Wildbad 100 nicht über die mittlerweile berühmten Saba “Green Cone”-Treiber verfügt (das sind Breitbandtreiber, bestehend aus einer besonders steifen und leichten Papiermischung, die von starken ALNICO-Magneten angetrieben und in anderen Modellen, wie z.B. der Freiburg-Serie, verbaut wurden), liefert es üppige und fulminante Vocals und eine ansprechende Tonalität mit ausreichend Nachdruck im Bass, wenn es bei moderaten Wohnzimmerlautstärken betrieben wird. Ähnlich wie die Green Cone-Treiber klingen auch die vier Treiber des Wildbad bei zu hoher Lautstärke flach, angestrengt und verzerrt. Die Leistung des 4-Watt-Röhrenverstärkers reicht gerade mal aus, um die Tonalität und die Kraft einer laut sprechenden menschlichen Stimme zu reproduzieren. Meiner Meinung nach ist es genau diese Disziplin, die die Saba-Radios dieser Zeit für Hörer so attraktiv macht. Das Wildbad 100 erzeugt Gesang mit greifbarer Substanz und einer fast verbotenen Anziehungskraft.
Drückt man die erste der acht Elfenbeintasten auf der Vorderseite bis zum Einrasten herunter, flackert die EM84-Tunerröhre auf, noch ohne dass das Gerät einen Ton von sich gibt. Während sich die Röhre mit einem immer schmaler werdenden Band auf den Radioempfang einstimmt, beginnt der Klang des Radios mit starker Verzerrung zu spielen, bis der Verstärker genug Reserven gesammelt hat, um die Lautsprecher pegelfest anzutreiben. Es dauert dann weitere fünf Minuten, bis das Saba vollständig klingt, und erneut fünfzehn Minuten, bis es am besten klingt. Die Wärme der Röhren ist bald darauf als warmes Glühen über dem Holzgehäuse zu spüren. Denken wir einen Moment an die billigen Plastik-Ghetto Blaster, die in den 1970er und 1980er Jahren auf das Saba Wildbad folgten. Kaum einer von ihnen war auf die Tonalität und auf die Harmonien der menschlichen Stimme abgestimmt. Daher klangen sie im Vergleich zum Saba kalt und leblos.
Als meine Mutter uns vor einigen Wochen an der Nordsee besuchte, führte ich sie durch unser Studio, so wie es jetzt eingerichtet ist. Sie hörte sich unser Martin-Logan-SL3-System mit dem hervorragenden Symphonic Line RG9 MK5 Verstärker, dem Thorens TD 320 Plattenspieler und dem Marantz CD-17 CD-Player sowie unser Tannoy XT8f-System mit dem legendären Symphonic Line RG9 MK3 an. Sie genoss die Musik sehr und war zeitweise emotional gerührt. Später, als wir die Moltonvorhänge für den Hörraum umnähten, schaltete ich beiläufig das Saba Wildbad Radio ein. Nach einigen Minuten hörte sie auf zu nähen und schaute auf: „Ist das das alte Radio meines Vaters?“ wollte sie wissen. „Es klingt wirklich sehr gut. Ich wusste gar nicht mehr, dass es so einen tollen Klang hatte.“ Und obwohl ich im Laufe der vergangenen Jahre viel Erfahrung im Aufbau von Systemen gesammelt habe und nun weiß, wie man selbst in einem komplexen Aufbau eine klangliche Ausgewogenheit erreicht, war ich erstaunt über den unbestreitbaren Charme, den das Saba Wildbad auf Anhieb versprüht. Sie glauben mir nicht? Dann setzen Sie sich eine Weile im Dunkeln davor, und Sie werden es erleben.
SABA ist die Abkürzung für Schwarzwälder Apparate-Bau-Anstalt, ein Privatunternehmen, das 1923 von Hermann Schultze in Villingen gegründet wurde. Anfangs wurden dort Uhren und Haushaltsgeräte hergestellt, doch in den 1920er und 1930er Jahren wurde das Unternehmen bald um den Bereich Funktechnik erweitert. In den 1950er Jahren war die Marke SABA für ihre hochwertigen Radios und Fernsehgeräte bekannt und erlangte einen weitreichenden Ruf für hervorragende Klangqualität, insbesondere mit Modellen wie der Freiburg-Serie, die über die berühmte automatische Sendersuche und hochwertige „Green Cone“-Lautsprecher verfügte.
Später, in den 1960er Jahren, begann SABA auch mit der Produktion von Fernsehgeräten und wagte sich in die Unterhaltungselektronik vor. Doch der zunehmende internationale Wettbewerb aus Asien in den 1970er Jahren beeinträchtigte schon bald die finanzielle Stabilität des Unternehmens. 1980 wurde SABA schließlich von der französischen Thomson-Brandt-Gruppe übernommen, was das Ende seiner Unabhängigkeit bedeutete. Trotzdem blieb die Marke SABA in verschiedenen Formen bestehen, insbesondere auf dem Fernsehmarkt und unter Thomson als Eigentümer der Marke. SABA ist nach wie vor eine bei Sammlern beliebte Marke, die für ihre Handwerkskunst in der Radio- und Audiotechnologie bewundert wird, insbesondere während ihrer Blütezeit Mitte des 20. Jahrhunderts.