Veröffentlicht: 15.7.2024
Herstellungsdatum: 2024
Autor: Karsten Hein
Kategorie: Gear & Review
Tag(s): Speaker Cables
"Don’t know how you’d find me, I don’t look much like the photos. Whatever man you'd come to look for, I'm not him", singt Sean Keel, in der breiten Stereomitte und wunderbar umgeben von akustischer und elektrischer Slide-Gitarre, welche auf wundersame Weise in unserem Studio zu schweben scheinen. Ich spüre, dass mein betagter Denon DCD-1420 bisweilen Mühe hat, seine abgenutzte Laseroptik auf Spur zu halten, was Seans ohnehin schon krächzende Stimme noch gefährdeter und schützenswerter wirken lässt. Die Endstufe des Abends ist meine dreißig Jahre alte Uher UMA-1000, welche in Kombination mit Luigis Mark Levinson HF-10c-Lautsprecherkabeln den spärlich gesetzten Klaviernoten von Gabriel Rhodes die nötige Klangfülle und Substanz verleiht.
Keels Stimme klingt kratzend nach Alter und Weisheit: "You sang blessed assurance. And then it was my favourite song." Die Bestimmtheit und die Klangfülle, mit denen unsere Tannoy XT8f-Lautsprecher jeden Tastenanschlag wiedergeben, transportieren eine gewisse Zuversicht, trotz des stimmlichen Risikos, diese in der nächsten Sekunde schon wieder zu verlieren. Es ist ein guter Abend, um langsame Musik zu hören, bei der jeder Ton so getragen wie möglich ist. Vielleicht ist es ja der Beginn der Ferienzeit, der diese eindrucksvolle Menge an sauberer Energie aus dem Netz zaubert, vielleicht ist es anteilig auch meine gute Laune angesichts der Rückkehr des Sommers nach einer scheinbar endlosen Wintersaison, die sich in diesem Jahr bis weit in den Juli hineinzog.
Die großen und schweren Kupferkabel von Mark Levinson waren schon lange nicht mehr in Betrieb gewesen und ließen sich nur schwer wiederbeleben. Luigi hatte sie mir ohne ordentliche Stecker übergeben und mir ganz nebenbei geraten, ich solle mir ein paar Stecker besorgen, die auf den 6-mm-Kabeldurchmesser passten. Es war typisch für Luigis Vorschläge, dass sie zumindest eine gewisse Anstrengung meinerseits erforderten. Und ich war in der Regel nur zu gern bereit, dem Folge zu leisten. Ich mochte die verspannbaren, pistolenförmigen WBT-0610 CU-Bananenstecker, die ich zuerst bei den HMS Gran Finale-Kabeln gesehen hatte, doch ich wollte nicht so viel Geld für ein Kabelpaar ausgeben, das nicht mein eigenes war. Daher entschied ich mich für einen erschwinglichen Nachbau der WBTs, in der Hoffnung, dass ich (aus audiophiler Sicht) damit durchkommen würde.
Es war ganz offensichtlich, dass die Kabelenden im Laufe der Jahre etwas oxidiert waren, obwohl ihr Bündel von Einzellitzen—jede nicht dicker als ein menschliches Haar—an den Stellen, an denen sich die Originalanschlüsse befunden hatten, zu einem einzigen Stück verlötet worden waren. Ich versenkte die Sechskantschrauben fest im Lötzinn, wohl wissend, dass es noch einige Zeit dauern würde, bis sich diese Kabel eingespielt hatten. Nebenbei bemerkt habe ich manchmal die Erfahrung gemacht, dass es für die Einlaufzeit nicht zwingend erforderlich ist, dass das Gerät die ganze Zeit läuft, solange die Komponenten angeschlossen bleiben. Allein die Tatsache, dass Kupfer, Blei, Messing und Gold in direkten Kontakt miteinander gebracht werden, führt bereits zu einer langsamen Homogenisierung der elektrischen Eigenschaften an den Übergangspunkten und minimiert den Widerstand zwischen ihnen. Dies ist keine wissenschaftliche Aussage, sondern nur etwas, das ich beim Konfektionieren und Anhören neuer Kabel in den ersten Wochen akustisch beobachtet habe.
Ich nenne die Tannoy XT8f-Anlage unser "neues" System, nicht so sehr wegen des Alters seiner Komponenten, sondern wegen des relativ "modernen" Klangs der Tannoys. Die Lautsprecher unserer Zeit sind in der Regel so abgestimmt, dass sie in den Labors gute Messergebnisse liefern, während die Ingenieure der Vergangenheit nicht über diese Menge ausgefeilter Messgeräte verfügten. Sie konnten sich fast ausschließlich auf ihre eigenen Ohren verlassen. Und - ob Sie es glauben oder nicht - das menschliche Ohr ist kein schlechter Maßstab, wenn es darum geht, Entscheidungen über die Vorzüge des Klangs zu treffen. Das erklärt auch, weshalb manch klassische Instrumente auch heute noch besser klingen als aktuelle Geräte, trotz aller technischen Fortschritte. Die Mark Levinson HF-10c in Kombination mit der alten Uher-Endstufe lassen meine Tannoys vor allem "musikalisch" klingen, und das trotz ihrer eigentlichen Tendenz, modern und analytisch zu erscheinen.
Musik wird durch Dynamik eindrucksvoll, aber erst durch Tonalität lebendig. Die HF-10c unterstützen dunklere und vollmundigere Töne. Wenn Sie diese Kabel mit einem schwachen Verstärker koppeln, werden Sie erleben, wie die Kraft aus dem Verstärker schwindet. Die Uher-Endstufe mit ihren 150 Watt pro Kanal hat jedoch keine Schwierigkeiten, sie Kabel anzutreiben. Auch kann ich hören, wie die Endstufe langsam aus ihrem jahrelangen Winterschlaf erwacht. "World’s got a brand new baby, I lie awake listen to her bawl. Must feel a lot like flying." Heute Abend verstehe ich, was Sean damit meint. Ich genieße Abende wie diesen, an denen die Luft nach den vielen Regengüssen sauber riecht und die untergehende Sonne quadratische orangefarbene Flecken auf unserem sonst anthrazitfarbenen Teppich und den Holzbalken in unserem Studio bildet.
Ich erinnere mich an die Madrigal Flat Copper-Kabel, die mir Luigi im Januar 2022 zum Probehören überreichte. Produkte von Mark Levinson haben eigentlich immer einen interessanten Kniff. Eine Eigenschaft, die sie zu etwas Besonderem werden lässt, selbst wenn die Zeit sich weiterentwickelt hat. Die Musikalität des HF-10c ist ziemlich beeindruckend, auch wenn Geschwindigkeit, Detailtreue und Basskontrolle vielleicht nicht seine größten Stärken sind. Immerhin sind das nicht unbedingt Defizite, wenn es darum geht, die ohrenbetäubenden Eigenschaften von Hochleistungsendstufen abzumildern. Und davon hat Mark Levinson ja bekanntlich so einige im Haus. Ein hoher Dämpfungsfaktor, jede Menge saubere Burst-Power bis in die Höhen hinein, Beryllium- oder Titankalotten an mit Silber verkabelten Lautsprechern, all diese laborerprobten technischen Overkills finden in diesen Kabeln ein wohltuendes Gegengewicht.
Wenn ich mein übliches Repertoire an Folk, Jazz, Vocal Jazz und Rock durchspiele, bewahren die HF-10c einen weichen und seidigen Hochtonbereich, der auch bei höheren Lautstärken nicht aggressiv wird, einen charmanten Mitteltonbereich, mit dem ich mich schnell anfreunden kann, üppige, naturgetreue Stimmen, die in einer breiten Phantommitte dargestellt werden, eine warme Tonalität und (vor allem im Jazz) eine realistische Menge an musikalischen Details. Der Klang ist röhrenartig, satt und vollmundig mit durchdringenden Klaviertönen. Die Kabel bieten eine mittlere Ausklingdauer, nicht so kurz wie die Terminator-5-Kabel von MIT und nicht so langfahnig wie die Harmonie HD von Symphonic Line.
In Sachen Potenz erinnern mich die Mark Levinson an die Symphonic Line-Kabel, obwohl sie doch ganz anders spielen: Die Symphonic Line treten lauter und agiler auf. Wenn Klaviertöne schrill werden, fällt das bei den Symphonic Line-Kabeln zuerst auf, weil die HF-10c deutlich nachsichtiger sind. Die Basskontrolle ist bei den Harmonie HD straff und sehr druckvoll, bei den MIT-Kabeln in einigen Frequenzen vielleicht sogar etwas zu druckvoll. Um mit den HF-10c das gleiche Ergebnis an Basskontur und Druck zu erzielen, bräuchte man einen Verstärker mit massiver Leistung und sehr hohem Dämpfungsfaktor. Und ich glaube, dass die Mark Levinson-Ingenieure genau so ein Kraftpaket von einem Verstärker vor Augen hatten, als sie die HF-10c bei einem Kabelspezialisten in der Schweiz in Auftrag gaben, nach ihrem mittlerweile legendären “Koste es was, es wolle”-Ansatz.
Typ: ultrafeines, mehrdrähtiges Lautsprecherkabel
Durchmesser: 10 AWG (5,26mm) Kupfer pro Litze
Lücke zwischen den Litzen: 5 mm
Leitermaterial: hochreines Kupfer
Getestete Länge: 2x 2,24m (Stereo)
Abschlüsse: verspannbare Bananas, 24K vergoldet
Land der Herstellung: Schweiz
Jahr(e): ca. 1992