Veröffentlicht: 19.12.2022
Herstellungsdatum: 2015
Autor: Karsten Hein
Kategorie: Gear & Review
Tag(s): Power Amplifiers
"Hast Du eigentlich in Deinem Blog schon einmal eine Class-D Endstufe getestet?", fragte mich mein bevorzugter Audiotechniker, als ich seine Werkstadt verließ. Ich blieb prompt an der Tür stehen, schüttelte den Kopf und grinste ahnungsvoll. Schließlich wusste ich ja, dass Winfried ein erfahrener Entwickler von HiFi-Geräten war, die von Netzfiltern, CD- und Netzwerk-Playern, Vor- und Endstufen bis hin zu Lautsprechern reichten. Seine aktuellen Geräte waren in der Regel in unauffälligen, schwarzen Gehäusen in vornehmem Understatement verpackt. Und ich wusste auch, dass seine digitalen Verstärkerdesigns bereits in seinem eigenen Labor und in Kombination mit den verschiedensten HiFi-Geräten seiner Kunden erprobt worden waren. Sein Class-D-Verstärker brachte dabei mehr als die übliche Ausgangsleistung auf die Waage und leistete satte 350 Watt (RMS) pro Kanal an einer 4-Ohm-Last.
"Wird er denn auch an den Martin Logans funktionieren?", war meine spontante Gegenfrage. Wir wussten beide, dass die elektrostatischen Martin Logan-Lautsprecher einige zerstörerische Widerstandseinbrüche produzierten, insbesondere im höheren Frequenzbereich. Winfried war zuversichtlich, dass sehr niedrige Widerstände mit seinem Class-D-Verstärker kein Problem darstellen würden, und versicherte mir, dass er eine Schutzschaltung gegen Überlastung der Schaltkreise eingebaut habe. Ich sagte ihm, dass es mir eine große Freude und Ehre wäre, sein Gerät in meiner eigenen Testumgebung auszuprobieren. Er reichte mir kurzerhand die Endstufe, und als ich das schlichte schwarze Kästchen mit nur einer Hand entgegennahm, wurde ich erneut an die offensichtlichen Vorzüge eines solchen Geräts erinnert: Gewicht und Größe. Mit knapp 2,5 Kilo war diese Endstufe fünf- bis zehnmal leichter als ein herkömmlicher 350-Watt-Verstärker, selbst wenn man dabei gewichtsreduzierte PA-Designs berücksichtigte. Ich dachte zum Beispiel an Klassiker wie die Dynacord PAA 880 mit gut 23 Kilo Gewicht.
Da ich bereits den Vorteil des Eichmann Bullet Plugs mit ausgeglichenem Massenverhältnis der Leiter erlebt und auch schon den Beitrag von Solid-Core-Kabeln bei der Beseitigung von Wirbelströmen kennengelernt hatte, war ich neugierig auf die unkonventionellen 0210 CU Nextgen Plasmaprotect-Buchsen von WBT und positiv überrascht, dass Winfried gerade diese für die Line-Eingänge seines Class-D-Verstärkers gewählt hatte. Mein positiver erster Eindruck setzte sich fort, als ich die Endstufe zum ersten Mal einschaltete. Der integrierte Netzschalter der Kaltgerätebuchse fühlte sich geschmeidiger und stabiler an als viele ähnlich aussehende Ausführungen, die ich zuvor bedient hatte. Das kleine schwarze Kästchen sah auf unserer Amp-Base aus Bambus schlank und elegant aus. Allerdings konnte ich auch das leichte Klingeln des Schaltnetzteil wahrnehmen, welches vom Verstärkergehäuse selbst ausging. Es war kein Geheimnis, dass ich kein Fan von Schaltnetzteilen bin und bestrebt war, diese aus unserem Haus so weit wie möglich zu verbannen. Dennoch war ich bereit, dem vielleicht notwendigen Fortschritt der Technik gegenüber aufgeschlossen zu sein.
Während der Aufwärmphase unserer HiFi-Kette stellte die Schutzschaltung der Class-D-Endstufe geringe Mengen an Gleichstrom fest, die von unserer Dynaco-Röhrenvorstufe ausgingen, und schaltete die Endstufe wiederholt ab. Dieser Effekt verschwand, sobald die Dynaco PAS-4 ihre volle Betriebsspannung erreicht hatte. Da unser alter Hafler XL-280 Dinosaurier nicht über eine so ausgeklügelte Schaltung verfügte, konnte er den kleinen Fehler auf der Seite der PAS-4 nicht anzeigen. Es dauerte etwa 20 Sekunden, bis sich die Dynaco stabilisierte und das unangenehme Schalten aufhörte. Erleichtert, dass nun alles bereit für den Einsatz war, nahm ich meine gewohnte Hörposition ein und stellte fest, dass die Endstufe selbst kein nennenswertes Grundrauschen verursachte, ich vernahm ausschließlich das gewohnte Röhrenrauschen, welches ich von unserer Dynaco-Vorstufe kannte.
Als ich das Album "The Christmas Present" von Robby Williams auf unserem Rega Planet CD-Player anspielte, stellte ich fest, dass diese Class-D-Endstufe lauter aufspielte als unsere Hafler. Ja, es war geradezu typisch für amerikanische Endstufen, dass sie eine geringere Eingangsempfindlichkeit boten als ihre europäischen Kontrahenten. Ich konnte auch hören, dass Winfrieds Endstufe die elektrostatischen Panels der Martin Logans etwas müheloser in den höheren Frequenzbereich bediente. Der Klang war dabei stets akkurat und geschmeidig bei einer natürlichen wirkenden Dynamik. Die hohen Frequenzen klangen sauber, und ich hatte den Eindruck, dass die Endstufe auch tonal richtig spielte. Ich war zudem mit dem Umfang an Bass und der Kontrolle dessen sehr zufrieden. Es war ganz offensichtlich, dass diese Endstufe über ausreichende Reserven verfügte, um selbst komplexe Lasten zu bewältigen; denn unsere hybriden Martin Logan-Lautsprecher waren aufgrund ihrer Kombination aus Panels (die aus elektronischer Sicht eher einem Kondensator ähnelten) und dynamischen Tieftönern eine solch komplexe Last. In dieser Konstellation hatten weniger potente Endstufen als Winfrieds Class-D Bolide merklich Schwierigkeiten, die Kontrolle über den Tieftöner zu behalten.
Die Kombination aus einem sehr hohen Dämpfungsfaktor von 4.000:1 und niedrigen Innenwiderstand von unter vier Milliohm machte diese Endstufe zu einem excellenten Begleiter für unsere Martin Logans. Ich stellte fest, dass alle Klangereignisse ihren eigenen Raum und ihre eigene Größe hatten, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen. Allein die Stimme in der Stereomitte wirkte stellenweise etwas klein und übermäßig freigestellt. Vermutlich war dies ein Resultat der sehr hohen Dämpfung, die diese Endstufe eher für analytisches Hören prädestinierte. Unsere Hafler im direkten Vergleich schien die Musik mit nur einem einzigen Pinsel zu malen. Sie erzeugte dadurch große Homogenität in der Musik, konnte jedoch nicht mit der Kontrolle und Leichtigkeit der Class-D-Endstufe mithalten.
Während die Class-D-Endstufe durchaus in der Lage war, bei Bedarf knurrende Bässe zu erzeugen, die tief und gleichzeitig wohlkonturiert waren, konnte die Musik an mancher Stelle seltsam unzusammenhängend wirken. Speziell bei der Wiedergabe von digitalen Quellen spürte ich bisweilen einen Mangel an Emotionen, eine gewisse Leere, die nach meiner Ansicht dem Effekt ähnelte, den ich von LED-Coblights kannte. Das Licht mochte zwar insgesamt ausreichend hell sein und auch die angegebene Farbtemperatur erreichen, doch im direkten Vergleich zu einer herkömmlichen Halogenlichtquelle entstand für mich ein gewisses nur schwer erklärbares Gefühl von Leere. Bei der Wiedergabe von Musik aus analogen Quellen ließ sich dieses Phänomen nicht beobachten. Hier waren die zusätzlichen Details und die Impulskraft der Endstufe eher zuträglich und wirkten der etwas geringeren Dynamik von Vinyl entgegen. Die Musik klang dadurch reichhaltiger, voller und befriedigender als dies mit unserer Hafler der Fall war. Phono profitierte durchaus von der erhöhten Agilität des Class-D-Designs. Die klassische und sehr wirkungsvolle Kombination aus digitaler Quelle und analoger Verstärkung war hier einmal andersrum ausgeführt und funktionierte ebenfalls sehr gut.
Zusammenfassend konnte ich Winfried berichten, dass er einen in meinen Augen elegant aussehenden Class-D Boliden gebaut hatte, der auch an Elektrostaten funktionierte und viele Vorteile der Class-D-Technik in sich vereinte, aber eben auch kleinere design-typische Schwächen aufzeigte. In Kombination mit digitalen Quellen konnte diese spezielle Konstruktion im Zusammenspiel mit feinzeichnenden Lautsprechern etwas analytisch klingen und zu einer Musikdarbietung führen, die eher für den Kopf als für das Herz des Hörers interessant war. In Kombination mit analogen Geräten jedoch hatte die überragende Exaktheit auch Vorteile. Ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, ob ein traditionelles lineares Netzteil nicht zu einem noch besseren Verstärker geführt hätte, doch dies war vermutlich nur mein langgehegter persönlicher Vorbehalt gegenüber Schaltnetzteilen.