Veröffentlicht: 20.3.2022
Herstellungsdatum: 1980
Autor: Karsten Hein
Kategorie: Gear & Review
Tag(s): Power Amplifiers
Nachdem ich bereits einige Jahre lang den Weg der Audio-Erkundung beschritten hatte, musste ich feststellen, dass ich von den zahlreichen Black-Box-Designs, in denen die Wunder der Elektronik of lustlos verpackt waren, zunehmend gelangweilt war. Vor allem die vielen identisch aussehenden, gefalteten Metallabdeckungen, in denen alle möglichen Geräte untergebracht waren, von exotischen Streamern bis hin zu gewöhnlichen Mehrkanalendstufen, standen für die schäbige Lieblosigkeit einer Industrie, die zunehmend von vielseitigeren und interaktiven Technologien verdrängt wurde. Für den audiophilen Hörer bedeutete dies jedoch einen beklagenswerten Verlust an Vielfalt und Ästhetik. Im 21. Jahrhundert galt die traurige Regel, dass alle Hi-Fi-Geräte aus Kostengründen gleich aussehen mussten, es sei denn, der potenzielle Kunde war bereit und in der Lage, einige Monatsgehälter für den Kauf eines einzigen Geräts auszugeben.
Plattenspieler und Röhrenendstufen gehörten zu den wenigen HiFi-Geräten, die vom Syndrom der gefalteten Metallabdeckungen weitgehend verschont geblieben waren. Bei diesen gehobenen Geräten konnte man noch die rohe Technik in Aktion sehen, schätzen, und eine ausgeprägte Designphilosophie erkennen. Und vielleicht war dies auch ein Grund für ihre wiederkehrende Beliebtheit bei einer neuen Generation von Hörern. Für die aufkeimende Generation der Soziale-Medien-Jünger ging es beim täglichen Kampf ums Überleben darum, greifbare Erfahrungen zu sammeln und ein einzigartiges und vermarktbares persönliches Image zu entwickeln. Wiedererkennbare Produkteigenschaften waren ein wichtiges Mittel, um diese persönliche Mission zu erfüllen. Exquisites Design und reife Persönlichkeiten mussten gleichsam den Spagat zwischen Kühnheit und Kompromiss schaffen um erfolgreich zu sein.
Ich vermute, dass diese Sehnsucht nach der Wahrheit des Charakters auch der Grund war, warum ich mich überhaupt zu dem Becker ST-200 Verstärker hingezogen fühlte: Die Möglichkeit, seine Elektronik zu sehen und die verblüffende Einfachheit seines Designs. Als ich den Verstärker erwarb, hatte ich weder Informationen über seine technischen Daten noch hatte ich jemals von der Marke gehört. Dennoch vermutete ich, dass die attraktiven Eigenschaften des ST-200 auch durch die Wahl der Elektronik im Inneren unterstützt werden würden. Handelte es sich vielleicht um eine Endstufe aus einer Kleinserie oder um einen Selbstbausatz, ähnlich wie bei den Endstufen von Hafler und Heathkit? Von außen konnte ich das nicht erkennen, und meine Nachforschungen in den üblichen HiFi-Foren blieben ohne brauchbare Hinweise.
Ich beschloss, selbst Detektiv zu spielen. Bei der Suche nach Hinweisen im Internet fand ich heraus, dass der Becker ST-200 vier Hitachi J49 Leistungs-MOSFET-Transistoren verwendet, d. h. zwei J49-Transistoren pro Kanal. Da jeder Transistor auf einem eigenen Kühlkörper befestigt war, brauchte man sich über eine Überhitzung keine Sorgen zu machen. MOSFET-Transistoren waren silikonbasierte Halbleiterbausteine, die ziemlich heiß werden konnten, vor allem wenn die Bias auf einen hohen Class-A-Pegel eingestellt war. Ihnen wurde ein röhrenähnliches Verhalten nachgesagt, da sie einen wärmeren und weniger technischen Klang erzeugten. Diese Eigenschaften wurden von audiophilen Hörern in der Regel gegenüber normalen Transistoren bevorzugt. Ich erfuhr, dass ein Paar dieser Hitachi-MOSFETs pro Kanal eine Ausgangsleistung von 100 Watt liefern konnte. Bei voller Ausnutzung würde dies den Becker zu einem Verstärker mit 100 Watt RMS pro Kanal an einer 8-Ohm-Last machen. Nicht schlecht, wenn man die relativ kompakte Größe und das moderate Gewicht bedenkt.
Nach den MOSFET-Transistoren erregten die blauen, Cola-Dosen-ähnlichen Kondensatoren meine Aufmerksamkeit. Mit einer Kapazität von 61.000 pF pro Stück konnten diese leistungsstarken Elkos genug Energie speichern, um eine hohe Spitzenleistung zu liefern und selbst die anspruchsvollsten Lautsprecherlasten zu betreiben. Leider konnte man dies nicht über den Transformator sagen, der eher mäßig groß zu sein schien, vor allem wenn man die verfügbare Leistung der Endstufen MOSFETS bedenkt. Durch den Transformator begrenzt sollte die Dauerleistung bei ca. 60-70 Watt pro Kanal liegen. Unser Hafler XL-280 hatte im Vergleich dazu einen Trafo, der mindestens doppelt so groß und schwer war. Nach dem Einschalten schepperte und brummte der Trafo des Becker kurz, bis ein Relais die Endstufenplatinen zuschaltete, um die Musik spielen zu lassen. Bevor ich die Lautsprecher anschloss, öffnete ich das Gehäuse der Endstufe, um sicherzugehen, dass im Inneren keine Teile fehlten oder sich gelöst hatten. Was ich unter der Haube fand, überraschte mich dann doch ein wenig: Die hochwertigen Komponenten, die von außen zu sehen waren, schienen im Inneren nicht fortgeführt zu sein. Die Verkabelung des Verstärkers wirkte tatsächlich etwas improvisiert.
Ich hätte im Inneren gerne verdrillte und verzinnte Belden 9497 gesehen, die zu den Lautsprecherklemmen führten. Stattdessen fand ich die typischen mehrdrähtigen Kupfer-Lautsprecherkabel, die in den 1980er Jahren zum Standard gehörten. Außerdem stellte ich fest, dass Signal- und Stromkabel manchmal eng nebeneinander verlegt waren oder sich sogar berührten. Dies musste unweigerlich die Integrität der Signalausgabe des der Endstufe beeinträchtigen. Um unsere Lautsprecher vor einer unbemerkten Fehlfunktion, wie z. B. einer Gleichstromausgabe, zu schützen, maß ich zunächst die Signalausgabe mit einem Multimeter durch. Dabei stellte ich fest, dass der Verstärker beim Abspielen einer CD-Direktquelle bis zu 20 Volt ausgab und die gemessene Gleichspannung gleich Null war. Umso mehr war ich überrascht, dass beim Anschluss unserer Lautsprecher auf beiden Kanälen ein lautes 50-Hz-Brummen zu vernehmen war, sowie einige unangenehme Stromausfallverzerrungen bei der Wiedergabe. Es schien, dass einige relevante Teile dieser Endstufe ausgetauscht werden mussten, und ich hatte zunächst das Gefühl, dass es sich dabei auch um die großen Kondensatoren handeln könnte.
Bei meinen Bemühungen, den ursprünglichen Konstrukteur des der Endstufe ausfindig zu machen, wandte ich mich an Helmut Becker von AudioValve, der nach eigenen Angaben mit einer Vielzahl von Konstruktionskonzepten experimentiert hatte, bevor er sich schließlich für Röhrenverstärker entschied. Leider erfuhr ich, dass der Inhaber von AudioValve in der Woche vor meiner Anfrage verstorben war, so dass meine Frage von den hilfsbereiten Mitarbeitern des Kundendienstes weder verneint noch bestätigt werden konnte. In Anbetracht des Einflusses von AudioValve auf High-End Röhrendesigns überlasse ich es den Lesern dieses Artikels zu entscheiden, für wie plausibel sie die Verbindung halten. In den schriftlichen Worten des freundlichen Kundendienstmitarbeiters: "Möglich wäre es."
Ich wollte mehr über diese eigenartige Endstufe im Bauhaus-Stil erfahren und brachte den Becker ST-200 zum Service bei einem Techniker meines Vertrauens. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits ausreichend viele Punkte auf meiner Liste der elektronischen Fehler gesammelt, um einen Komplettservice zu rechtfertigen. Zu meiner Überraschung jedoch wurde mir der Verstärker schon drei Tage später zurückgegeben und mitgeteilt, dass keine Teile ausgetauscht werden mussten. "Es handelt sich hier um einige beeindruckende Komponenten, die eher schlecht zusammengebaut wurden", lautete das Urteil unseres Fachmanns. Er hatte also nur die offensichtlichsten Fehler behoben und gab mir die Endstufe zurück, damit ich sie mir anhören und selbst entscheiden konnte, ob sich weitere Reparaturen lohnen würden.
Zurück in unserem Hörraum schloss ich den Becker ST-200 an unser Tannoy-System an, das von einer Dynaco PAS-4 Röhrenvorstufe angesteuert wurde. Nach ein paar Minuten des Aufwärmens klang die Musik gewaltig, mit großartiger Tonalität, aber auch einem hörbaren Grundrauschen, zusätzlich zu dem brummenden Transformator der Endstufe. Ich war mir sicher, dass man das besser machen konnte, und ersetzte den Dynaco durch unsere totenstille Restek V1 Vorstufe. Das Grundrauschen sank beträchtlich, und sogar der brummende Transformator ließ mit jeder Stunde Musikwiedergabe nach. Was mir blieb, klang für meine Ohren wie pure Magie. Dieser Verstärker erzeugte die natürlichste Klangbühne, die ich bisher mit unseren Tannoys gehört hatte. In Kombination mit dem eher erschwinglichen Belden 9497 Lautsprecherkabeln kam das Ergebnis sogar nahe an den klanglichen und räumlichen Realismus heran, den ich beim Hören der H&S Exceptional-Endstufe mit den HMS Gran Finale-Lautsprecherkabeln empfunden hatte. Theoretisch hätte angesichts des Preis-, Qualitäts- und Aufwandsunterschieds überhaupt keinen Vergleich möglich sein dürfen.
So schlecht der Becker ST-200 auch aufgebaut war, so sehr konnte er bei audiophilen Hörern wie mir für Aufsehen sorgen, weil er in der Lage war, dieses Jazzclub-Feeling zu reproduzieren: Das groovige Stampfen, die räumliche Genauigkeit von Breite und Tiefe des Veranstaltungsortes, der klangliche Reiz von echtem Holz und Metall und sogar die satte und lebensgroße Leadstimme in der Bühnenmitte. Was zunächst wie ein vielversprechender, jedoch misslungener Heimwerkerjob aussah, schaffte es, mehr musikalischen Realismus zu erzeugen als einige unserer ultrapräzisen Endstufenklassiker wie z.B. der Hafler XL280. Und obwohl die Spezifikationen des Becker auf dem Papier vielleicht nicht viel hergaben, gelang es diesem Verstärker doch, unsere Aufmerksamkeit im Hörraum zu fesseln. Ich fühlte mich an Endstufen wie den Dynaco ST-70 erinnert, der ebenfalls in der Lage war, die Atmosphäre eines Jazzclubs nach Hause zu bringen. Daher mussten wir bei der weiteren Überholung des ST-200 Verstärkers, um das verbleibende Brummen zu beseitigen, besonders darauf achten, den ihm innewohnenden Zauber nicht zu zerstören.
[Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieses Artikels leidet der ST-200 immer noch unter wiederholtem Knacken und sporadischen Signalverlusten auf beiden Kanälen während Passagen mit niedrigem Eingangssignal, insbesondere von Phono kommend.]
(Fortsetzung folgt...)