Veröffentlicht: 17.3.2022
Autor: Karsten Hein
Kategorie: High Fidelity
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hielt die kompakte und praktische Digitaltechnik immer mehr Einzug in unsere Haushalte. Seit der Erfindung des iPods können wir unendlich viele Songs in unsere Taschen stecken. Und Streaming-Dienste wie Spotify, Tidal, YouTube und Amazon Music, um nur einige zu nennen, haben den universellen Zugang zu einer schier endlosen Auswahl an Musik zu erschwinglichen Preisen ermöglicht.
Während einige Menschen die Möglichkeit genossen, sich durch eine umfangreiche Liste von Musikstücken zu wühlen, ohne sich dabei persönlich binden oder entscheiden zu müssen, fühlten sich andere eher verloren und vermissten den gegenseitigen Beziehungsaspekt, die Verbindung zwischen der Band und ihren Fans, was der Kauf von Musik einst war. Es mag ein natürlicher Impuls für diese Menschen gewesen sein, sich nach dem vor-digitalen Zeitalter zurückzusehnen, in dem Musiker und Plattenfirmen mit Leichtigkeit ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten und in dem der Anreiz für Musiker und Produzenten groß war, kontinuierlich viele qualitativ hochwertige Inhalte zu erschaffen, anstatt 1-Hit-Wunder zu produzieren, die auf Click-Bait-Algorithmen und überwiegend ähnlich klingenden Tracks basieren.
Vinyl war eine willkommene Zuflucht für diejenigen, die vor den Auswirkungen des digitalen Wahnsinns flohen. Tatsächlich stand die Schallplatte für all das, was das Streaming von Musik nicht tat: Das Medium war von Natur aus in der Anzahl der Songs, die auf eine Scheibe passen, begrenzt. Beim Abspielen eines jeden Titels folgte die Nadel einer Signalspur, die eine getreue analoge Abschrift des akustischen Ereignisses enthielt. Die Pausen zwischen den Liedern waren auch mit bloßem Auge als wiederkehrende Muster erkennbar. Um einen Song oder ein Album abzuspielen, musste man sich persönlich vom bequemen Sofa erheben und eine Platte aus der vorhandenen Sammlung auswählen. Und um stets einen Nachschub an qualitativ hochwertiger Musik zur Verfügung zu haben, musste man sich zu einem anspruchsvollen Sammler entwickeln und seinen Musikgeschmack strategisch ausbauen.
Das Aufsetzen der Nadel auf die Schallplatte erzeugte ein knisterndes Geräusch, noch bevor der erste Song gespielt wurde, und es war möglich, den Vorgang dabei visuell zu verfolgen, zu schätzen und zu verstehen. Plattenspieler sind in Bezug auf ihre Art der Musikwiedergabe transparent. Im Gegensatz zu den meisten digitalen Geräten, bei denen die Musikwiedergabe aus einer unsichtbaren und praktisch unveränderlichen Blackbox kommt, haben Plattenspieler einen persönlichen Charakter und werden mit zunehmendem Know-how desjenigen, der sie aufstellt, immer besser funktionieren. Die Auswahl der Komponenten, das Verständnis für die Mechanik, die Beseitigung von Vibrationen, das Management der Elektrik und die Verbesserung der Elektronik - all diese Faktoren tragen zur Klangqualität bei. Plattenspieler laden ihre Besitzer geradezu dazu ein, sich intensiv mit ihnen zu beschäftigen und sich auf eine Entdeckungsreise zu begeben.
Richtig eingestellte Plattenspieler klingen sehr ähnlich wie CDs und andere hochwertige Quellen, z.B. Online-Streaming-Geräte. Sie werden weder das niedrige Grundrauschen einer CD erreichen noch die Dynamik moderner digitaler Formate bieten. Sie erzeugen jedoch eine sehr harmonische Klangsignatur sowie einen weich auslaufenden und sehr natürlich wirkenden Hochton-Bereich, ein Umstand der von manchen Hörern als angenehmer empfunden wird. Trotz ihrer auf dem Papier geringeren Leistung reichen die technischen Fähigkeiten von Plattenspielern für ein angenehmes und anspruchsvolles Hörerlebnis vollkommen aus. Gut gewartete Schallplatten produzieren dabei auch nicht viel Rauschen. Klick- und Knackgeräusche sind selten und in jedem Fall dem Musiksignal untergeordnet. Es ist eine urbane Legende, dass Vinyl-Liebhaber gerne die Nebengeräusche von Schallplatten hören. Was für ein Quatsch. Wenn überhaupt, dann genießen sie das letzte bisschen an Unberechenbarkeit, das der Schallplatte erhalten bleibt.
Die Klangqualität von Plattenspielern wird heute meist durch schlecht gepresste oder gemasterte Exemplare beeinträchtigt. Meiner eigenen Erfahrung nach verursachen moderne Vinyl-Produktionen oft Probleme, weil der Mastering-Ingenieur das Medium nicht mehr gut genug versteht. Dies führt dann oft zu Zischlauten oder anderen Verzerrungen. Angesichts der wachsenden Nachfrage nach analogen Aufnahmen und der Tatsache, dass nur noch wenige erfahrene Hersteller zur Verfügung stehen, kann die Qualität der Pressungen ziemlich miserabel sein. Die Platten kommen verzogen, unzentriert oder schlecht geformt beim Käufer an. 180-Gramm-Schallplatten sind leider auch kein Gütesiegel für bessere Qualität. Während in den 70er Jahren produzierte Schallplatten meist eine hervorragende Haltbarkeit und Standhaftigkeit aufwiesen, scheinen unsere modernen Produktionen überwiegend minderwertige Materialien und Produktionsmethoden zu verwenden, was dazu führt, dass 50-70 % aller modernen Schallplatten von nicht idealer Güte sind. In diesem Zusammenhang erscheint es ungerecht, dass sich Medienhändler verweigern, Schallplatten zurückzunehmen, auch wenn die Pressung offensichtlich von geringer Qualität ist.
Einen Plattenspieler so einzustellen, dass er Musik gut abspielt, ist eine Kunstform, die mit dem Fliegenfischen vergleichbar ist. Natürlich ist es billiger und effektiver, Fisch aus der Tiefkühltruhe des örtlichen Supermarkts zu kaufen, aber das Gefühl der Vollendung und die Freude am Konsum sind wohl nicht direkt miteinander zu vergleichen. Von den analogen Quellen, die von Reel-to-Reel über 8-Tracks bis hin zu Kompaktkassetten usw. reichen, bietet nur der Plattenspieler die optimale Kombination aus Langlebigkeit, Komfort und Klangqualität. Und obwohl er sicherlich nicht "besser" als digitale Quellen klingt, wird er von Gerät zu Gerät und von Besitzer zu Besitzer unterschiedlich klingen, was der ansonsten eher willkürlichen und vielleicht sogar langweiligen Erfahrung der Musikwiedergabe aus der Konserve endlich wieder eine spannende persönliche Dimension verleiht. Anspruchsvoll eingerichtete Plattenspieler-Setups sagen oft genauso viel über ihre Besitzer aus wie über die Qualität der Musik.